Viktor E. Frankl

INGE PATSCH &

Viktor E. Frankl

Mit seiner Existenzanalyse und Logotherapie hat mir Viktor E. Frankl eine völlig neue Welt eröffnet. Eine von der, ich in der Schule nichts gelernt habe. Nämlich jene von persönlicher Freiheit und Verantwortung und der Erkenntnis der Selbsttranszendenz.

Ein sperriges Wort und ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, was es für mich bedeutet und vor allem, was es im täglichen Leben heißt:
Das Eintauchen meines ganzen Menschseins in einen Wert, für den es sich zu leben lohnt – ohne einen Gedanken daran zu verschwenden,  ob ich zu kurz komme oder nicht.

Viktor E. Frankl (1905 – 1997), © Katja Ratheiser




Ich lebe in Axams in der Nähe von Innsbruck und neben den geistigen Kräften, welche die Seele berühren und den Verstand klar denken lassen ist die Natur eine wesentliche Tankstelle in meinem Leben.



Wie müsste diese neue Menschlichkeit aussehen, worauf müsste sie achten? Viktor Frankl spricht davon, dass unser Gefühl immer feinfühliger ist als unser Verstand scharfsinnig. Das Feingefühl für Wertvolles entsteht durch Inspiration, durch das was mich berührt und mich anregt. Durch Menschen, die ich mag und achte, durch Bücher, die mich begeistern und herausfordern, durch Musik, die meine Seele wärmt, durch Filme, die mich berühren und von wahren Begebenheiten handeln und letztlich ist es das Leben selbst, das mich immer wieder von neuem inspiriert.

Mein Interesse an der Sinnlehre von Viktor E. Frankl wurde in den letzten dreißig Jahren immer größer. Nie werde ich jenen Augenblick vergessen, als ich in der „Ärztlichen Seelsorge“ gelesen habe, dass sich Glaube, Liebe und Hoffnung nicht herstellen lassen und dass ich nicht wollen wollen kann. Es war als ob mir endlich jemand zutraut, das zu leben, was mich tief in meiner Seele bewegt. Das Leben selbst beschenkte mich mit der Gabe der Intuition. Mich berührt ein Mensch, ein Gedanke, ein Bild oder ein Buch und ich beginne genau an diesem Punkt, der mich ergriffen hat für das Jeweilige zu interessieren. Was nach der ersten Begeisterung folgt ist Mühe, ja intensive Arbeit und große Ernsthaftigkeit – jedoch ohne Verbissenheit. Ich brauche Zeit und dieses „immer-wieder-eintauchen“ in die Sinnlehre von Viktor E. Frankl.

Das Trotzdem habe ich viele Male in meinem Leben gebraucht und es bedeutet einfach standhalten, wenn es schwierig wird und manchmal aussichtslos. Aus dem Standhalten wächst Kraft und irgendwann taucht wieder Lebensfreude, Begeisterung und Dankbarkeit auf. Doch schnell ist diese fröhliche Trias nicht zu haben.

„Wir sprechen nicht gerne über unser Erlebnis: wer selber in einem Lager war, dem  brauchen wir nichts zu erklären; und wer es nicht war, dem werden wir nie begreiflich machen, wie es in uns ausgesehen hat – und wie es auch jetzt noch in uns aussieht.“
Aus: „..trotzdem Ja zum Leben sagen“ – Viktor E. Frankl

WORÜBER ICH MICH FREUE

In den letzten Jahren erschienen einige Bücher, die nicht aus dem Bereich der Logotherapie kommen, doch sie haben mit Viktor E. Frankl zu tun. Entdecke ich, dass eine Autorin oder ein Autor Viktor Frankl erwähnt mache ich geistige Freudensprünge. In der Art und Weise, wie jemand schreibt spüre ich den Geist der Freiheit und der Würde und weniger jenen der Belehrung und Besserwisserei. Diese Freudensprünge – so dachte ich – sind es wert, mit anderen zu teilen.

Erst heute erleben Frankls Ideen so etwas wie ein Revival. In einer Zeit, in der alle Werte dekon­struiert sind, in der nichts mehr als feststehend und verlässlich erscheint, entdeckt man plötzlich die Wichtigkeit sinnhafter Bezüge wieder – in der Psychologie wie in der Unternehmensberatung.
Ulrich Schnabel, Zuversicht, Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je

Massentauglich sind Ratgeber, die Rund-um-sorglos-Pakete versprechen, doch diese taugen äußerst selten für ein gelingendes und sinnvolles Leben. Diese Ratgeber prägen eine Realitäts­ferne, die an menschliche Dummheit grenzt. Wenn-Dann-Strategien vergessen, dass Missge­schicke immer wieder passieren und auf das gesamte Leben betrachtet werden wir alle Schicksalsschläge erleben, die wir nicht vermeiden können.

„Nicht nur ein tätiges Leben hat Sinn . . . sondern das Leben behält seinen Sinn, da – wie etwa im Konzentrationslager – kaum eine Chance bietet, schöpferisch oder erlebend Werte zu verwirk­li­chen“, schreibt Viktor Frankl in seinen berühmten Erinnerungen an seine Jahre im Konzen­trations­lager. Diese Einsicht ist keine „billige Einsicht“ eines Schreibtischdenkers. Diese Einsicht Viktor Frankls ist erlitten.
Clemens Sedmak, Geglücktes Leben, Was ich meinen Kindern ans Herz legen will

Es gibt keine „billige Einsicht“ um dem Sinn, Lebendigkeit zu schenken. „Billig“ wäre zu meinen, wir können jemandem mitteilen, was er tun soll, wenn es nicht so läuft wie geplant. Vielleicht braucht dieser „Jemand“ einfach nur jemandem, der ihm ohne Besser­wisserei zuhört.

Das Leben hat mich mit einer Begeisterungsfähigkeit beschenkt, die mich freut und die ich pflege. Die Begeisterung für etwas Wertvolles fordert mehr als mein Interesse, es folgt die Mühe der Auseinander­setzung mit dem, was mich inspiriert und interessiert.
Hier ist die Geschichte meiner Initialzündung mit der Sinnlehre von Viktor E. Frankl:

„Im März 1988 hielt Viktor E. Frankl am Rathausplatz in Wien die Gedenkrede anlässlich des 50. Jahres­tages des Anschlusses Österreichs an Deutschland. Seine Aussage hat mich tief berührt: „Eine Kollektivschuld gibt es nämlich nicht. Schuld kann jedenfalls nur persönliche Schuld sein – die Schuld an etwas, das ich selbst getan habe – oder vielleicht zu tun unterlassen habe!“
Die Aussage von Viktor E. Frankl, dass es keine Kollektivschuld gibt, erfüllte mich mit großer Erleichterung und einer tiefen Befreiung. Ich spürte intensiv, dass in diesem Gedanken die Sicht zu verantworteter Freiheit anstatt verordneter Schuld liegt. Das Thema Schuld hatte nicht nur meiner Mutter den Beginn meines Lebens sehr schwer gemacht. 1952 galt ein uneheliches Kind als Verfehlung. Tief in mir habe ich nie akzeptiert, dass ich „schuld“ sei am Unbehagen meiner Mutter. Das Bemühen meiner Kindheit war geprägt, brav zu sein und meiner Mutter nicht „noch mehr“ Sorgen zu machen, als durch mein Dasein bereits entstanden sind.
Mit der Aussage von Viktor E. Frankl begann mein Prozess, der mir half, meine Mutter und die Zeit, in der sie lebte, besser zu verstehen. Heute denke ich in dankbarer und aufrichtiger Freude an diese Initialzündung, die Viktor E. Frankl in mir ausgelöst hat, zurück.
Inge Patsch, Mich in meinem Leben finden

Hören wir heute einen Vortrag oder sehen wir eine Aufführung, dann wird man rasch aufgefordert das Gehörte oder Gesehene zu bewerten. Dieser Bewertungswahn nervt mich, vor allem dann, wenn von mir eine Art Kontrollinstanz verlangt wird, deren Methoden ich ablehne. Die einfachste und widerlichste Form dieser Bewertungs-Unkultur sind die Symbole: Daumen nach oben und Daumen nach unten. Dem Sinn schenken wir mit dem ständigen Bewerten keine Lebendigkeit. Im Gegenteil dieses Bewerten ohne gründlich über dies oder jenes nachzudenken hindert uns daran, Erfahrungen zu sammeln und unsere Begeisterungsfähigkeit zu beleben. Ohne Lebensfreude und Begeiste­rung wird das Leben armselig. Dem Sinn schenken wir mit dem ständigen Bewerten keine Lebendigkeit. Im Gegenteil dieses Bewerten ohne gründlich über dies oder jenes nachzudenken hindert uns daran, Erfahrungen zu sammeln und unsere Begeisterungsfähigkeit zu beleben. Ohne Lebensfreude und Begeiste­rung wird das Leben armselig.

Der österreichisch-jüdische Psychiater Viktor Frankl ging davon aus, dass wir dem Leben seinen Sinn rauben, wenn wir es nicht in allen Facetten annehmen. „Not und Tod, das Schicksal und das Leiden vom Leben abzulösen, hieße dem Leben die Gestalt, die Form nehmen. Erst unter den Hammerschlägen des Schicksals, in der Weißglut des Leidens an, gewinnt das Leben Form und Gestalt.
Natalie Knapp, Der unendliche Augenblick

Edith Eva Eger erlitt ein ähnliches Schicksal wie Viktor Frankl. Mit achtzig Jahren schreibt sie ihre Erfahrungen aus ihrem Leben und was sie Viktor Frankl verdankt:

Viktor Frankl, der mir erlaubte, mich nicht mehr zu verstecken, der mir half,  Worte für meine Erlebnisse zu finden. Der mir half, mit meinen Qualen umzugehen. Mit ihm als Mentor und als Freund entdeckte ich eine Sinnhaftigkeit, die mir half, nicht nur Frieden mit meiner Vergangenheit zu schließen, sondern auch etwas Kostbares aus meinen Prüfungen mitzunehmen.
Edith Eva Eger, Ich bin hier und alles ist jetzt

David Servan-Schreiber, ein Arzt schreibt in seinem Buch „Die neue Medizin der Emotionen“:

Um in einem kalten, gleichgültigen Universum zu überleben, muss man seinem Leben einen Sinn geben, eine Verbindung zu etwas außerhalb seiner selbst herstellen. Frankls Rat für verzweifelte Situationen lautet, nicht zur fragen, was das Leben für uns tun kann, sondern immer zu überlegen, was wir für das Leben tun können.
David Servan-Schreiber, Die neue Medizin der Emotionen

Im Buch „Dem Leben vertrauen“ von Rachel Naomi Remen lese ich viel und oft. Bis ich auf Seite 165 angekommen bin, dachte ich mir immer wieder, diese Frau muss Viktor Frankl gekannt haben. Ob sie ihm persönlich begegnet ist, weiß ich nicht, aber sie lebt viel von diesem Geist der Logotherapie, der viel mehr berühren als belehren will.

Der Einfluss unseres persönlichen Sinnempfindens darauf, wie wir unsere Arbeit, unsere Beziehun­gen und das Leben als solches erfahren,  kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Viktor Frankl berichtet in seinem bahnbrechenden Buch über die Konzentrationslager, „..trotzdem Ja zum Leben sagen“, dass das Überleben von der Fähigkeit zur Sinngebung abhängig sein kann.
Für diejenigen von uns, die eine belastende Arbeit haben oder ein schwieriges Leben führen, kann es von sehr großem praktischen Nutzen sein, allem einen Sinn zu verleihen. Sinngebung ist Stärke.
Rachel Naomi Remen, Dem Leben vertrauen




Scroll to Top