Das große Heilmittel für die seelische Not dieser Zeit ist das Vertrauen
Viktor E. Frankl
Für mich bedeutet Vertrauen ins Leben die Gewissheit, dass ich helle und auch dunkle Zeiten bewältigen kann. Mir ist längst bewusst, dass Vermeidungsstrategien wenig sinnvoll sind, da wohl niemand Schwieriges und Schweres verhindern kann. So viel Einfluss habe ich nicht auf das, was geschieht. Das Schicksal gehört zum Leben und die ermutigende Botschaft lautet: Gemeinsam können wir füreinander da sein und uns stärken.
Das Vertrauen ins Leben habe ich vor allem von meiner Großmutter und von vielen anderen Menschen gelernt. Eine gute Nahrung erhält mein Vertrauen ins Leben von meinen eigenen Erfahrungen, die ich bewältigt habe.
Der Advent hat für mich etwas „Bezauberndes“ und so habe ich mir gedacht, ich mache mich ein Interview mit dem Vertrauen.
Interview mit dem Vertrauen
Vertrauen: Dein Anruf hat mich sehr erstaunt und Deine Bitte, dass Du mich besuchen möchtest, noch mehr. Ich nehme wahr, was in der Welt geschieht und daher ist mir sehr bewusst, dass ich sehr selten ernst genommen werde. Ähnliches erleben auch Kinder, die werden nur von wenigen ernst genommen.
Inge: Danke für Deine Zeit und ich beginne gleich mit meiner ersten Frage. Kannst Du den Unterschied zwischen Sicherheit und Vertrauen erklären?
Vertrauen: Das ist eine gute Frage, denn bevor mir jemand vertraut, wird eine Sicherheitsgarantie verlangt und genau diese Sicherheit kann ich nicht versprechen. Viele Leute wollen ein Rezept, das in allen Lebenslagen funktioniert. Schon das Wort funktionieren mag ich nicht. Eine Maschine funktioniert auf Knopfdruck und ist vom Strom abhängig und ist in keiner Weise frei. Wer vertrauen möchte, sollte bedenken, dass sicher nur das ist, was schon vorbei ist. Für die Zukunft gibt es keine Sicherheit. So wie die Maschine, sind wir Menschen vom Leben selbst abhängig und dem Leben zu vertrauen, ist eine Herausforderung.
Inge: Du triffst genau der Punkt, der mich in Gesprächen so sprachlos macht. Vor kurzem hat mir ein Mann erklärt, wer vertraut sei dumm, das habe er in seinem Leben gelernt und daher ist für ihn Misstrauen gesünder.
Vertrauen: Mir scheint, besonders gesund kann der Mann nicht sein, aber lassen wir ihn bei seiner Überzeugung. Überzeugungen vermitteln Prinzipien, die keine Fragen mehr zulassen. Deshalb bin ich froh, dass mir mein Vater beigebracht hat, wie wesentlich es ist, bestimmte Meinungen zu hinterfragen.
Inge: Wer ist eigentlich Dein Vater?
Vertrauen: Der Zweifel!
Inge: Jetzt bin ich paff! Dein Vater ist der Zweifel.
Vertrauen: Ja vertrauen, ohne zu zweifeln, schließt doch jedes Realitätsbewusstsein aus. Wer das Zweifeln, Nachdenken, Hinterfragen nicht geübt und gelernt hat, dessen Vertrauen ist nicht viel wert. Wahrscheinlich bin ich genau deswegen nicht beliebt.
Inge: Da hast Du sicher Recht. Beliebt sind einfache Methoden und schnelle Lösungen, die mit garantierter Sicherheit zum Ziel führen. Geplante Ziele zu erreichen war immer herausfordernd und im Lauf des Lebens gelingt doch vieles aufgrund glücklicher Zufälle und die bleiben letztlich ein Geheimnis.
Vertrauen: Das ist schön, dass Du das Wort Geheimnis ansprichst. So heißt meine Zwillingsschwester. Sie ist sehr scheu und am ehestens begegnest Du ihr in der Nacht, wenn Sie in den Sternenhimmel schaut. Da ich weiß, dass sie nicht gerne spricht, setze ich mich in ihre Nähe und durch sie habe ich das geduldige Warten gelernt. Im Morgengrauen geht sie dann zurück ins Haus und da versteckt sie sich meistens am Tag.
Inge: Dann siehst Du sie fast nie und kannst nie mit ihr reden?
Vertrauen: Es sind seltene Begegnungen mit ihr, aber das ist ja das Besondere an meiner Zwillingsschwester. Ich bin gewiss, dass sie da ist, aber ich könnte dir nie sicher sagen, wo sie ist. Die meisten meinen, dass es genügt, viel zu wissen. Ich denke, es täte manchen gut, sich bewusstzuwerden, wie wenig sie tatsächlich wissen und wenig ihnen dieses Wissen in Krisensituationen hilft. Dort wo man nichts weiß, könnten sie sich mir widmen, dem Vertrauen und in der Begegnung mit mir wächst auch das Geheimnis. Aber heutzutage tun die meisten so, als ob sie alles wüssten, deshalb sind so viele Menschen so verloren.
Inge: Je länger ich Deine Anwesenheit spüre um so wohle fühle ich mich und allmählich ahne ich, was Du meinst, wenn Du sagst, Du kannst keine Sicherheit versprechen. Eines würde mich noch interessieren. Der Vater von Dir und Deiner Zwillingsschwester ist der Zweifel, heißt Deine Mutter dann Bildung? Ich denke, denn nur wer gebildet ist, kann zweifeln. Komm sag, heißt eigentlich Deine Mutter Bildung?
Vertrauen: Du glaubst ja auch noch, dass Bildung das Wesentliche ist, um vertrauen zu können. Bildung ist wichtig und eine Bildung, die in Krisenzeiten versagt ist, nicht viel wert. Daher ist der Name meiner Mutter nicht Bildung, sondern Zuversicht. Trotz allem Geschehen, dass auch sie hin und wieder verzweifeln lässt, arbeitet sie viel. Sie ist heiter und zuversichtlich und schreibt dem Leben nicht vor, wie es zu sein. Von meinem Vater habe ich gelernt, dem Zweifel auf den Grund zu gehen und nicht jeden Quatsch zu glauben, auch wenn er mit viel Verbreitung findet. Meine Mutter hat mich gelehrt, aus dem Vergangenem die Zuversicht zu künftigem Gelingen zu schöpfen und darauf vertraue ich.
Um jede und jeden von uns haben sich am Beginn unseres Lebens ein oder mehrere gute Menschen gekümmert, sonst wären wir heute nicht hier.
Dieses Fundament verdanken wir dem Leben und liebevollen Leuten. Werden wir erwachsen, dann sind wir aufgerufen selbst etwas zum Fundament unseres Lebens beitragen. Mit einem guten Fundament können wir einiges wagen und dieses Fundament zu stärken ist eine lohnende Aufgabe. Hilfestellung bieten: Menschen, Natur, Musik, Literatur, Malerei, Tanz und vor allem gute Gespräche mit Tiefgang.
dass uns das Wesentliche geschenkt wird
und dass wir uns darum
jetzt keine Sorgen machen sollen!“
„Wir glauben, Wunder seien diejenigen Ereignisse, die gegen die uns bekannten Naturgesetze in der Physik, der Chemie usw. verstoßen. Aber nein, Wunder geschehen jeden Tag, aber wie betrachten sie nicht als solche. Denk nur an dein Leben und seine vielen, wichtigen Wendungen. Die hatten etwas Wunderbares an sich, nicht wahr? Das sind Wunder. Sämtliche Kräfte des Universums treten einen Augenblick lang in einem Ereignis zusammen: Das ist das Wunder, wir aber halten es für selbstverständlich. Weil wir die Psyche verkennen.
Die Psyche ist etwas Lebendiges, die Psyche ist Leben, ist ein Aspekt des Lebens, ein Aspekt im Leben des Universums.“
Tiziano Terzani, Spiel mit dem Schicksal