Aktuelle Gedanken

Dietrich Bonhoeffer – von Widerstand und Ergebung

Wer ausreichend Interesse und Zeit aufbringt, Gedanken von außergewöhnlichen Menschen zu lesen, möge bitte daran denken, dass vieles rätselhaft bleiben wird.
Wir sollten von uns nicht verlangen, „alles“ verstehen zu wollen.
Für mich waren und sind Gedanken anderer eine große Bereicherung, ohne sofort eine Tat von mir zu verlangen. Viel mehr fühle ich mich von einem Geheimnis berührt, das mich mit dem, was diese Menschen geschrieben haben oder schreiben, verbindet.



Viele Menschen kennen von Dietrich Bonhoeffer den Text „Von guten Mächten treu und still umgeben“, der als Lied bekannt geworden ist. Derzeit scheint es so, dass eher dunkle Mächte ihr Spiel in einigen Staaten mit Menschen treiben, die sich – so wie zur Zeit Bonhoeffers – nur begrenzt wehren können. Gerade deshalb ist es für mich unverzichtbar, an jene besonderen Menschen zu erinnern, die mich inspirieren und ermutigen. Auch wenn ich in keinerweise begreife, was aufrechte – Viktor Frankl würde sagen anständige – Menschen bewältigt haben.
Dem Menschen Dietrich Bonhoeffer kann ich in seinen Texten nur mit Staunen und einem großen Respekt begegnen. Besonders beeindrucken mich die Briefe, welche er im Gefängnis an seine Eltern, an seine Verlobte Maria von Wedemeyer und an seinen Freund Eberhard Bethge geschrieben hat.
Mein Respekt und mein Staunen wird größer, wenn ich mir vorstelle, dass er die Briefe in einer Gefängniszelle geschrieben hat.
Da taucht die Frage auf: Welche Kraft bewegt einen Menschen zu solcher Klarheit, Zuversicht und Hoffnung?

Skulptur: Bronzetorso für DIETRICH BONHOEFFER
von Karl Biedermann, Berlin. Der Torso steht an der Zionskirche in Berlin

„Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will.
Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen.
Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.
Ich glaube, dass auch unsere Fehler und Irrtümer nicht vergeblich sind, und dass es Gott nicht schwerer ist, mit ihnen fertig zu werden, als mit unseren vermeintlichen Guttaten.“
Dietrich Bonhoeffer, Du hast mich heimgesucht bei Nacht


Wie viel Gutes durch Menschen wie Dietrich Bonhoeffer in der Welt entstanden ist, ist nicht beweisbar. Im Frühling warten viele sehnsüchtig darauf, dass die kleinen Knospen an den Bäumen grün werden. Vielleicht ist es mit dem Guten in Gemeinschaften ähnlich. Die Natur weist den Weg durch die Jahreszeiten und für den persönlichen Weg sehnen sich einige nach Wegweisern. Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer sind für mich zu einem Wegweiser geworden. Ein Wegweiser, der mir zeigt, welche innere Haltung trotz schwieriger und lebensbedrohender Bedingungen möglich ist.


Das Schweigen erlebe ich bei bestimmten Begegnungen – auch bei mir selbst – als Unsicherheit und letztlich als Feigheit vor den Folgen. Im Gespräch „Der Werkzeugkasten des Faschismus steht sperrangelweit auf“ spricht Jagoda Marinic mit Stephan Lamby. Dieser nimmt sehr klar Stellung, was er sich von einigen Medien in den Vereinigten Staaten von Amerika erwartet hätte. Gleich in den ersten Tagen seiner Präsidentschaft hat Donald Trump verkündet hat, dass der Golf von Mexiko, ab sofort Golf von Amerika heißt. Im Gegensatz zu Google und vielen anderen verwendete die Nachrichtenagentur AP weiterhin den Begriff »Golf von Mexiko«. Ihre Reporter wurden deshalb von der Teilnahme der Pressekonferenzen im Weißen Haus ausgeschlossen.
„Es wäre für die amerikanischen Medien ein Leichtes, sich kollektiv dieser Forderung entgegenzustellen. Da muss man noch kein Widerstandskämpfer sein, man muss nur statt Amerika Mexiko schreiben. Das ist der Widerstand, den ich von den amerikanischen Medien erwarte.“ So lautet die Stellungnahme von Stephan Lamby. Er ermutigt mich, mich wieder öfter auf kontroverse Gespräche einzulassen und die Forderung nach einer – ohnehin zweifelhaften – Harmonie, nicht zu erfüllen. Mit „zweifelhaft“ meine ich, das Missverständnis, man müsse unbedingt einer Meinung sein. Sein Buch „Dennoch sprechen wir miteinander“ ist nicht nur lesenswert, sondern eine Art Manifest für unsere Zeit.

Als Stephan Lamby bei einer Familienfeier erfuhr, dass sein amerikanischer Cousin im Januar 2021 beim Sturm aufs Kapitol dabei war, entschied er sich „zu einer Reise durch die Welt“. Er wollte herausfinden, warum bei vielen Menschen eine eigenartige Sicht auf die Werte der Demokratie herrscht.
Wie können wir der zunehmenden Radikalisierung in der Gesellschaft und im eigenen Bekanntenkreis begegenen?

Um diese Frage zu beantworten, reist Lamby durch die USA, Argentinien, Italien und Deutschland. Er trifft auf Feinde und Verteidiger der Demokratie und sucht mit beiden das Gespräch.

Seine bewundernswerte Empathie hat nichts mit Nachsichtigkeit zu tun, sondern mit dem Interesse, die Sichtweise seines Gegenübers verstehen zu wollen. Er schildert, wie weit seine Toleranz geht und dass es für ihn eine Grenze gibt, an jede Bereitschaft zur Toleranz endet.



Elisabeth Sifton und Fritz Stern schreiben in ihrem Buch „Keine gewöhnlichen Männer – Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi im Widerstand gegen Hitler“. „Aus Bonhoeffers Schriften wissen wir, dass er sich mit den wichtigen Entscheidungen seines Lebens oft quälte, weil er sich der Quellen und Motive nicht sicher war, aufgrund derer er sie traf. Nicht, dass er unentschlossen gewesen wäre, aber er was sich der Fehlbarkeit menschlicher Denkprozesse stets bewusst.“
Bei mir lösen solche Gedanken die Frage aus: Bin ich mir der Fehlbarkeit meiner Denkprozesse bewusst? Und dann beginne ich erneut zu lesen, bei Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer, Viktor Frankl und Václav Havel und vielen anderen.



Ich höre gerne Podcast und ich wähle, was ich höre. Vor kurzem bin ich bei „Plot House“ gelandet und der Podast beginnt so: „Die politische Stimmung im Land ist angespannt. Viele Menschen sind unzufrieden und haben Angst, Angst vor der Zukunft, Angst vor Arbeitslosigkeit, Angst vor Armut und Inflation, aber auch Angst vor dem Fremden. Sie empfinden die Regierungen als unfähig, all die Krisen und Probleme in den Griff zu bekommen. Als diese Regierung zerbricht, werden Neuwahlen einberufen. Deutschland muss gemeinsam entscheiden, wie es weitergeht. Eine Partei nutzt die Gunst der Stunde, sie setzt auf die Verzweiflung und die Sorgen der Wähler. Sie befeuert die Ängste mit falschen Informationen und verspricht den Menschen, die vermeintlichen Bedrohungen abzuwehren. Sie garantiert eine Rückkehr zu alten Werten, zu einer Stärke, die das Land wieder in den Wohlstand führen wird.“
Zuerst dachte ich, das dies ein aktueller Text ist. Die Moderatorin erwähnt, dass der Text aus dem Jahr 1931 stammt. Sie erzählt von Hans Litten, einem jungen Rechtsanwalt, der 1931 Hitler in den Zeugenstand holte.
Hier ist der Link: Hans Litten, von dem Anwalt der Hitler bloßstellte:
Das Besondere an diesem Podcast ist das Gespräch mit Patricia Litten, der Nicht von Hans Litten. Wer nicht soviel Zeit hat, sollte sich das Gespräch mit Patricia Litten gönnen. Es beginnt bei 1.13.00 und dauert ein bisschen länger als zehn Minuten.

Verena Carl, eine Journalistin, hat mir mit ein Gespräch geführt und hat einen Text geschrieben, für den ich sehr dankbar bin.
Hier ist ein Ausschnitt:
„Die Mutter war von den Nazis begeistert, die Tochter ist darüber entsetzt. Lange können beide über diesen Konflikt nicht sprechen – bis ein Buch des im KZ hingerichteten Dietrich Bonhoeffer sie endlich zueinanderbringt.….
Schon der erste Bonhoeffer-Text, der Inge Patsch begegnet, lässt sie aufhorchen. „Gegen das Böse können wir kämpfen, gegen die Dummheit sind wir wehrlos“, schreibt Bonhoeffer, ein augenöffnender Moment für das junge Mädchen. „Meine Mutter war ja nicht dumm im intellektuellen Sinne, aber sie hat sich verrannt, wie so viele. Ich wollte sie nur verstehen, ihr keine Vorwürfe machen. Weder für ihre Jugend in der Nazizeit noch für meine Lebenssituation.“ ….
Als Inge einige Male ins Krankenhaus muss, bringt sie ihr eine Postkarte mit einem Bonhoeffer-Porträt mit und schreibt dazu: „Für die Zeiten, in denen ich dich nicht besuchen kann.“ Bonhoeffer ist ab jetzt immer dabei, ein unsichtbarer Dritter, Freund, Vaterfigur, starke Schulter.
Und dann ist da noch der Satz, der heute in großen Buchstaben auf einem selbst gestalteten Plakat in Inge Patschs Arbeitszimmer hängt: „Der Wunsch, alles durch sich selbst sein zu wollen, ist ein falscher Stolz. Auch was man anderen verdankt, ist ein Stück des eigenen Lebens.“ Da hat einer den Nagel auf den Kopf getroffen, findet sie: „Dass man nicht allein dafür verantwortlich ist, wer man ist, sondern auch von anderen beeinflusst wird, im Guten wie im Bösen, das ist ein entlastender Gedanke.

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